Schleifkotten an der Wupper - Wiesenkotten :: Brückenzoll

Brückenzoll am Wiesenkotten

Postkarte: Wiesenkotten - 1918
Postkarte: Bergisches Land :.: Wiesenkotten - gel. 5.8.1918
[Niem's Postkartenverlag Elberfeld 9802 - Drucktechnik: ??]

Von bergischen Menschen und den Stätten ihrer Arbeit, so der Titel eines Buches, das 1971 erschien. Der Autor, Siegfried Horstmann, wollte keine vollständige Geschichte der Wirtschaft im Remscheider Raum und seiner näheren Umgebung darstellen, sondern ein anschauliches Bild über das Werden und Wachsen der heimischen Wirtschaft vom Rennfeuer bis zur Dampfmaschine vermitteln. Zum Thema Wiesenkotten steuerte er folgende Beschreibung (bekannt aus dem Jahre 1922) und heimliche Anekdote bei:

» Der Wanderweg von Müngsten entlang der Wupper nach Burg galt früher als einer der schönsten des Bergischen Landes. Der Fluß breitete noch nicht seine "lieblichen Düfte" im Tal aus, so daß sich die Wanderer mit Genuß die Lungen mit würziger Waldluft vollpumpen und frohe Lieder schmettern konnten. In regelmäßigen Abständen wimmerten am Wege Drehorgeln die neuesten Schlager und Moritaten. Die Besitzer dieser wundervollen Instrumente wurden von uns Jungen glühend beneidet, weil sie lächelnd im Handumdrehen, ohne vorherige qualvolle längere Fingerübungen, Töne hervorzaubern konnten und dazu noch unaufhörlich Pfennige und Groschenstücke von den vorüberziehenden Wanderschwärmen kassierten.

Auf halber Wegstrecke lag der Wiesenkotten, in dem ursprünglich große Tischmesser für Solingen und später Remscheider Sägen geschliffen wurden.

1880 legte man den Vorderkotten still und baute ihn zu einem Wirtschaftsgebäude um.

Als nach dem Bau der Remscheider Talsperre [1889-1891,mte] die erste große Völkerwanderung von "Fremden" und Einheimischen im Tal der Wupper einsetzte, staute sich der Verkehrsstrom am Wiesenkotten, weil dort nur ein alter Kahn den Fährdienst über die wild wogende Wupper besorgte.

Postkarte - Gruss vom Wiesenkotten - Verlag v. C.W.Jacke, Remscheid.
Restauration zum Wiesenkotten bei Burg an der Wupper. Gelaufen am 8.1.1900
Ausschnittsvergößerung: Nachen (kompakte, flache Boote bzw. Kähne für die Binnenschifffahrt) am Wiesenkotten, der Fährdienst?

Tarif für die Fähranstalt zu Wiesenkotten

Es wird entrichtet für das Uebersetzen nach Maßgabe des Tarifs vom 7. November 1885:
I.Von Personen einschließlich Tragslast:Fährgeld
a) bei gewöhnlicher Ueberfahrt für jede Person5 Pfg
b) für eine besondere unverzügliche Ueberfahrt mittelst Nachens, welche auf Verlangen geschehen muß, von den Uebersetzenden Personen zusammen wenigstens25 Pfg
wenn die Abgabe nach dem Satze zu a, von den Einzelnen erhoben, nicht mehr beträgt. 
II.Von Thieren: 
a) für ein Pferd oder ein Maulthier25 Pfg
b) für ein Stück Rindvieh oder einen Esel12 Pfg
c) für ein Fohlen, Kalb, Schaf, einen Hund, eine Ziege oder ein anderes Stück kleines Vieh5 Pfg
d) für Federvieh, welches getrieben wird, bis zu 10 Stück und für jede weiteren 10 Stück5 Pfg
III.Von Fuhrwerken neben der Abgabe für die dazugehörenden Personen nach Ia und für das Gespann nach II: 
a) für ein beladenes Lastfuhrwerk oder ein als Lastfuhrwerk benutztes Personenfuhrwerk50 Pfg
b) für ein unbeladenes Lastfuhrwerk, sowie für einen leeren oder zum Transport von Personen benutzten Personenwagen25 Pfg
c) für einen Kinderwagen, einrädrigen Handkarren, Handschlitten, auch beladen, sowie für die unbeladenenen Fuhrwerke der folgenden Abtheilung4 Pfg
d) für einen Handkarren oder Handwagen anderer Art oder einen Eselskarren, beladen8 Pfg

Ein Jahrzehnt später spannte sich über das tiefe Tal bei Müngsten der gewaltige Bogen von Deutschlands höchster Eisenbahnbrücke [Bauzeit 1893-1897,mte].

Karte: aufgenommen 1893
Karte Preussische Landesaufnahme 1893
Die Brücke über die Wupper ist noch nicht eingezeichnet, stattdessen die Fährstelle oberhalb des Wehres.[mte]

Die nun weiter ansteigende Wanderwelle veranlaßte 1893 den neuen Besitzer des Wiesenkottens, Otto Jörgens aus Burg, eine Fußgängerbrücke zu bauen. Wer diese eiserne Gitterbrücke von 30 Meter Länge und 1,50 Meter Breite passieren wollte, war dem Besitzer tributpflichtig. Nach einer Regierungsverfügung betrug das Brückengeld fünf Pfennig für Erwachsene und zwei Pfennig für Kinder. - Für meinen Vater bedeutete das umgerechnet jedesmal eine 'unnötige' Ausgabe von zwanzig Pfennig = zwei Glas Bier. -

Da jährlich über 80.000 Menschen die Wupper auf dieser Brücke überquerten und ihre Groschen in die Brückenkasse plumpsen ließen, lohnte sich für den Besitzer die Anstellung eines Brückenwärters.

Wanderten wir Jungen allein durch das Tal, überlegten wir schon lange vor dem kritischen Punkt, wie wir die zwei Kupferlappen retten konnten.

Foto: Wupperfurt
Wupperfurt :-: heute zwingt kein Brückenzoll die Jugendlichen in die Wupper; freiwillig erliegen sie der Faszination des fließenden Wassers der nun wieder halbwegs "sauberen" Wupper. Und es sind nicht nur Jungen!

Bei niedrigem Wasserstand hielten wir vorher Ausschau nach einer geeigneten Furt, um ungeschoren an das andere Wupperufer zu gelangen. Dann hieß es: Alle Mann Schuhe und Strümpfe aus! Sodann ging es hinein ins kühle Naß: vorsichtig, Schrittchen für Schrittchen. Es war schon ein aufregendes Abenteuer, weil unsere Beine noch nicht die vorschriftsmäßige Länge erreicht hatten. Manchmal konnten wir uns an niederhängenden Zweigen festhalten. Wehe dem, der auf glitschigem Gestein die Balance verlor! Oft zwang auch kurz vor Erreichen des Ziels eine tiefe Stelle zur Umkehr. Wir mußten uns dann etwas Neues einfallen lassen.

Scan: Brückenhaus
Detail der Postkarte: Brückenhäuschen

Geduldig lagerten wir am Wegesrand und warteten auf ein geeignetes Opfer. Kreuzte endlich ein älteres Ehepaar ohne Kinder auf, spazierten wir artig hinter ihm her bis zum kleinen Brückenhäuschen, in dem der "Raubritter" auf seine Beute lauerte. Wenn der von uns auserkorene "Adoptivvater" ahnungslos seine Geldbörse zückte, um den Obolus zu entrichten, war unser großer Augenblick gekommen. Wie Marathonläufer rasten wir an den Verduzten vorbei und genossen aus sicherer Entfernung die lebhafte Auseinandersetzung des Ehepaares mit dem erregten Zöllner.

Die Freude über die geretteten zwei Pfennigstücke hielt meist bis Oberburg an. Dort wurden sie in Salmiakpastillen umgetauscht, die von uns in Sternchenform auf die Handrücken geklebt mit Wonne gelutscht wurden.«

Salmiakpastillen Salmiakpastillen in Sternchenform auf dem Handrücken.. archaische Erinnerungen werden wach.
Jahre später leckte man wieder an einem bekannten Handrücken ..
Die ultimative Tequila-Zeremonie: Geviertelte Zitrone oder Limette, Tequila und Salz.
Zuerst ein Schnapsglas voll mit Tequila füllen. Das Grübchen zwischen Daumen und Zeigefinger ist angeblich nur für folgenden Zweck in der menschlichen Anatomie angelegt: Es soll befeuchtet werden, damit das Salz, was dann darübergestreut werden soll, besser haften bleibt. Ohne zu zögern leckt man das Salz aus dem Grübchen, leert das Glas, beißt in das Zitronenviertel. Was dann folgt, kann man nicht beschreiben...

Foto: Waldschenke 1934
Waldschenke Wiesenkotten · Inh. Jos Becker
Burg a.d. Wupper - Tel. Amt Solingen 239 55 Eigene Konditorei, Ia Speisen und Getränke. Herrlich gelegener Ausflugsort zwischen Schloß Burg und der Müngstener Riesenbrücke. Alleiniger Hersteller des Berg. Teekuchens (ges gesch.)
Verlag Foto Feldhäuser, Burg a.W. -- 6 Pfg, Stempel Burg Wupper 1.6.1934, Die Perle des Bergischen Landes

Gleiches Foto schmückt auch eine am 14.6.1950 gestempelte Postkarte aus dem Hause Cramers Kunstanstalt.

Obige Ansichtskarte wurde im Juni 1934 verschickt. Das Brückenzollhaus ist noch vorhanden, verschwunden ist der Außenkotten (im Bildvergleich).

Foto: Ausschnitt
Funktionierende Maut-Stelle der Firma Face-to-Face Collect

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©2003-2006 Michael Tettinger, Sa. 03.05.2003, letzte Änderung: So. 05.03.2006