Schleifkotten an der Wupper - Untenfriedrichstaler Kotten

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Foto: Untenfriedrichstaler Kotten am 31. Mai 2004

Ein Schleifertumult in den Wupperbergen Anno 1750

Erst lesen, dann ...

Quelle: Bergische Heimatblätter
Halbmonatsschrift der Bergischen Zeitung für Heimatkunde und Heimatpflege
Jg.5, Nr.1 (1928), Seite 1 -:- Jg.5, Nr.2 (1928), Seite 7

Von Julius Günther, Solingen.

I.

»In der zusammenhängenden Darstellung der alten Siedlungs- und Arbeitsverhältnisse an der Wupper, - Franz Hendrichs, "Die Schleifkotten an der Wupper", Köln 1922 -, sind auf Seite 25 bei den Nachrichten über den Hohlenpuhler Kotten Mitteilungen darüber gebracht, daß um 1750 die "Schlacht" oder das Wehr desselben zerstört worden sei und infolge der damaligen Außerbetriebsetzung des Kottens die Eigentümer desselben keine Abgaben mehr entrichteten.

Wie dieser bedauerliche Vorfall entstanden ist, war bisher nicht mehr bekannt und es konnte angenommen werden, daß Naturkräfte diese Arbeitsstätte der Schleifer vernichtet und letztere zu zeitweiser Arbeitslosigkeit verurteilt hätten. Es kam ja früher häufiger vor, daß die ewig rauschenden Wässer des Wupperflusses im tollen Uebermut eines kommenden Frühlings sich ihrer besonderen Kraft bewußt geworden waren und alles, was sich ihnen in den Weg stellte und nicht ganz fest war, talabwärts mit sich fortrissen.

In dem Falle der Zerstörung des Hohlenpuhler Kottens hat die Sache aber doch wesentlich anders gelegen, wie aus der Abschrift eines alten Gerichtsurteils zu entnehmen ist, dessen Inhalt hier behandelt werden soll. Nicht die Kraft der Natur hat das von Menschenhand Erbaute vernichtet und für den Broterwerb der darin Arbeitenden unbrauchbar gemacht, sondern die Schleifer haben es selber getan! Dementsprechend muß auch das Leid gewesen sein, welches sich nach der Zerstörung des Kottens oder einzelner Teile desselben und später bei den Schleiferfamilien eingestellt hat, deren Väter und Söhne an dem Vernichtungswerk teilgenommen haben. Nach dem erwähnten Urteil sind nämlich zum Teil sehr harte Strafen verhängt worden, um die damals geschehene unselige Tat zu sühnen. In dem Urteil vom 13. Dezember 1753, welches von "landbrüchigen Excessen", also von Landfriedensbruch redet, werden der Fiskus und Frhr. v. Westerholt-Gysenberg als Kläger genannt. Der Tatort für dieses Vergehen ist nicht genau angegeben. Daß es sich aber bei diesem Landfriedensbruch um die Zerstörung des "Hohlenpuhler Kottens" handelt, ist daraus zu erkennen, daß gleiche Personen im Gerichtsurteil und in einem anderen Aktenauszug (Hendrichs, Anhang 2, S. 90) genannt werden, nämlich Johann Georg Erne und dessen Sohn.

Der Prozeß richtete sich gegen Georg Erne, dessen Söhne, Enkel und Konsorten und sie wurden "pro interesse Fisci", also im Interesse des Staates, wie nachstehend angegeben, in Strafe genommen. Das vor 175 Jahren in einer für uns weniger verständlichen Form niedergeschriebene Urteil erlaubt nicht ohne weiteres, den Sachverhalt richtig darzustellen. Darum sind die einzelnen Abschnitte zum Teil im Wortlaut wiedergegeben, wobei versucht werden soll, die alten Ausdrücke zu erklären.

Es wurden bestraft:

1) Georg Erne, dessen Söhne, Johann Wilhelm der Aeltere, Hans Peter und Wilhelm Erne, ferner des Johann Wilhelm des Aelteren Sohn Johann Peter und Andres Erne wegen einer "gewaltthätigen Herstellung beim Schleiffergericht und solchen endts getaner Ansuch- und Abladung bei deren Schleifferen, so dann zur Herstellungs-Beyhülff forth nach dessen ausrichtung Von ihnen beschehener tractirung deren Herstelleren, wobey dann ein großer tumult mittels gantzem Schreyen, Schießen, Sauffen und Fressen, Tantzen und Springen vor sich gangen", zusammen in zwantzig funf ggl. (Goldgulden).

Was die Wörter: Herstellung, Ansuch und Abladung bedeuten sollen, ist gegenüber unserer heutigen Aussprache nicht ganz klar. "Herstellung" wird in diesem Zusammenhang Vernichtung bedeuten. Es scheint so, als ob auch eine Auseinandersetzung vor dem Schleifergericht stattgefunden hätte zwischen dem Kotteninhaber Ern und dem Freiherrn von Westerholt-Gysenberg. Der Hinweis auf das Schreien, Schießen, Saufen und Fressen, Tanzen und Springen der Schleifer zeigt uns an, daß ein "herrliches Freudenfest" stattgefunden haben muß, dessen "dickes Ende" später nachkam. Die Strafen, in Goldgulden zu zahlen, waren bei den Verhältnissen vor 175 Jahren sehr schwere.

2) Der Schleiffer-Vogt Daniel Theegarden wird bestraft wegen "zur Herstellung mit abgefaßtem Schluß in Eygenere persohn selbst Verfügter Abladung, sodann persönlicher anweysenheit bey der Herstellung, forth wegen ferner Verfügung der Abladung, als ihme hinterbracht worden, daß die Schlacht vor einer durch eine von dahier abgeschicktes Commissorium hinwieder Demoliert werden sollte, gestalst ihm zu Hülff zu kommen, worauff dann die abgeladene sich zusammen Rottieret und zu des Ernen Kotten hingeeilet, und als das militärische Commando gesehen, sich Reteriret", in zehn Goltgulden.

Dieser Abschnitt wird dahin zu deuten sein, daß der Schleifervogt, anstatt sich auf Seiten der Behörden zu stellen, gegen diese gearbeitet hat. Hier kommt zum Ausdruck, daß die "Schlacht" hinwieder, also nochmals demoliert werden sollte und daß die Schleifer, als sie sich zusammengerottet hatten, zu des Ernen Kotten ziehen wollten. Als sie das militärische Kommando aber dort sahen, sind sie geflüchtet. Es muß doch etwas sehr Ernsthaftes vorgefallen sien, wenn zur Unterdrückung eines Aufstandes militärische Hilfe notwenig geworden war. Die drei Rathsmänner Peter Linder, Johann Wilhelm Evertz und Peter Grah werden bestraft: "wegen zur Herstellung beim Gericht abgefaßten Schluß und persönliche Anwesenheit bey der Herstellung" ein jeder mit acht goltgn.

Hier wird es deutlicher, daß "Herstellung" ein Ausdruck für Vernichtung gewesen sein muß. Rathsmänner durften auch damals nicht bei Tumulten gegen Staatsordnung oder Gesetz mitwirken. Der Handwerks-Bote Johann Nippes wird bestraft "wegen freventlicher abläugnuß, als wann auf Befehl Vogt und Rathsmänner die Abladung, mit Schüppen und Hacken zu erscheinen, nicht verfüget, wesfals jedoch überführet und Beywohnung ersteren Herstellung, sodann eingeständigster maßen zur Tragung einiger weißer, forth aufmunterung deren Herstellern mittelst beständigen Zutrinkens eines Glas Brandewein wofern der arbeit" in sechs goltgn.

II.

Der Handwerksbote hatte jedenfalls die Vorladung für die Schleifer zu sogenannten Hand- und Spanndiensten beim Wiederaufbau des Kottens besorgen müssen, zu denen sie Schüppen und Hacken mitbringen sollten. Da die Leute wahrscheinlich nicht zur Arbeit erschienen waren, wird er abgeleugnet haben, daß er sie bestellen sollte oder bestellt hätte. Er ist aber auch sogar überführt, daß er bei der ersten Herstellung - also Vernichtung - sogar zugegen gewesen ist. Außerdem hat er den "Herstellern" bei der Arbeit beständig mit Branntwein zugetrunken.

Der Clemens Dorp wird bestraft: "wegen eingeständigster von ihm unter Brüchtenstroff beschehener Abladung deren Schleiffern Beywohnung und Schl?ffung" in sechs goltgu.

Der Sinn dieses Abschnittes ist nicht recht verständlich.

Es werden bestraft: Daniel Witte, Abraham Knecht, Abraham Clauberg, Johann Bauß zu Balkhausen, Arnold Wüsthoff zu Wüsten Hoff, Johann Wilhelm Moll Zum Esel, Joh. Wilh. Weck Zum Heylerkothen, Peter Witte von Schlicken, Joh. Wilh. Knecht, Wilhelm Lauterjung, Joh. Wilh. Schauf, Abraham Schaaf, Joh. Peter Moll, Joh. Dierich Krahe, Clemens Kirschbaum, Abrah Clauberg, Joh. pet Claubergs Sohn, Joh. Wilh. Dorp, Peter Christian Theegarden, Joh. Nippes in der Stadt, Joh. Wilh. Witte zu Widdert, Joh. Wilh. Witte, Arnold Witte, Peter Henckels im rölscheid, Joh. Pet. Lauterjung Schleifer Vom hohlen gohler Kothen, Clemens Neull, Peter Neull, Joh. Neull, Abrah. Grahe Schleiffer im Friedrichstaler Kothen, Joh. Wilh. Grahe Zu merff, Daniel Grahe an den Wippe, Arnold Linder und Clemens Witte, "wegen eingeständigster Handleistung der Zum ersten mahl unter Jauchzen mit Schreyen, Sauffen und expost, Fressen, Musiciern und Schiessen beschehenere Herstellung" ein jeder in vier goltgn. Diese 33 Mann erhielten die geringste Strafe. Sie waren also die Mittäter beim Zerstören und beim "Festgelage". Die beiden letzteren aber, Arnold Linder und Clemens Witte "wegen überdeheme von ihnen beschehenere herumbspringen und tantzung in dem Wupperthram", ein jeder in sechs goltgu.

Was diese Uebeltäter besonderes vollbracht haben, ist nicht genau zu sagen, weil der Ausdruck "Wupperthram" zunächst nicht bekannt ist. Tram heißt an sich Balken, Sprosse einer Leiter, Treppe, Querstock eines Stuhles. Ob hiermit etwa das Gebälk des Kottens gemeint war oder ein etwa zwecks Ausführung von Arbeiten über die Wupper gelegtes Balkenwerk? Man könnte auch "Wupperstrom" lesen, aber ein Herumspringen und Tanzen in dem starkfließenden Wasser kann doch doch wohl nicht in Frage kommen.

Weiter werden in Strafe genommen: der Georg Erne, dessen Söhne, ausschließlich des Joh. Per. Erne und Enkele obbenannt aber ferner wegen von ihnen theils eingeständig, theils überzeugtermaßen in attento Decreto inhibitorio von tausend goltgulden. Wegen "weitherer Herstellung des Teichs sowohl als auch Schlachte", in 50 goltgu. Des Georg Ernen Sohn, Hans Peter Erne aber "weyle bey allen diesen nie erhörten landbrüchigen exeßen der haupt-räthelsführer gewesen, anbey überzeugtermaßen des Freiherrn von Westerholt: unter Beschwöhrung drei Teuffel zugethroheten todt schießends, auch hier zu Widdert gelehenten und tags vorher probierten gewehrs, wie weit nemlich damit schießen könne, und weiße verfügte Ladung ist ein halb Jahr zum Schantzen Redimibiliter zu condemnieren."

Dieser Uebeltäter mußte also auf ein halbes Jahr zur Schanzarbeit in die damalige Festung Düsseldorf wandern. Wenn früher in des Teufels Namen etwas beschworen wurde, so mußte er es besonders hart büßen. Daß der Hans Peter Erne aber wirklich Absicht gehabt hat, den Grafen Westerholt zu erschießen, ist nicht bewiesen. Hätte sie bestanden, dann hätte er, so sollte man wenigstens annehmen, nicht erst vorher das Gewehr auf dessen Tragweite in aller Oeffentlichkeit auszuprobieren brauchen.

Die Familie Ern scheint mit dem Freiherren v. Westerholt, dem damaligen Besitzer von Nesselrode, nicht auf freundnachbarlichem Fuße gestanden zu haben, denn auf Seite 34 der erwähnten Schrift von Franz Hendrichs wird ebenfalls erwähnt, daß der junge Ern den genannten Besitzer aus Anlaß eines Streites über die Fischereigerechtsame habe erschießen wollen.

Die weiteren Angaben in der schlechtleserlichen Urteilsabschrift beziehen sich auf die Verteilung der durch das Verfahren entstandenen Kosten und den entstandenen Schaden. Auch ist von der Abführung und Bewachung des Hans Peter Erne die Rede, falls eine "Loskaufung" nicht in Frage kommen sollte.«

Kommentar

Julius Günther dürfte vor knapp 80 Jahre diese schlecht lesbare Urteilsabschrift etwas überinterpretiert haben. 50 Jahre nach Günther veröffentlicht ein Solinger Lehrer 'seine' Version der Dinge. Dieser Tumultdarstellung kann ich eher folgen.


©2004 Michael Tettinger, So. 30.05.2004, letzte Änderung: Mo. 31.05.2004 Tettis Homepage eine Seite zurück Seitenanfang nächste Seite