Aus vergilbten Zeitungsbänden·
Der 13. August 1832 in Solingen

Quelle: Bergische Heimatblätter, Halbmonatsschrift der Bergischen Zeitung für Heimatkunde und Heimatpflege, 6.Jhg 1929, Nr.7, Seite 25. Der Artikel stammt von einem Erwin Schmitz aus Wald.

» Der 13. August 1832 bleibt für die Solinger reformierte Gemeinde ein denkwürdiger Tag. Hier seien kurz die Ereignisse geschildert.

Sollte jetzt jemand auf die Idee kommen, dass der 13. August 1832 ein Freitag gewesen ist, den dürfte ich enttäuschen; es war ein Montag.

Am 12. August, 7 Uhr morgens, versetzte sich das Schlagwerk an der Kirchenuhr so, daß die Uhr aufhörte zu schlagen. Die Glocken, die am Morgen die Gemeinde zur Kirche riefen, verstummten plötzlich, denn aus der Mittagsglocke war der Klöppel gefallen. Als man am 13. August zu einer Beerdigung läuten mußte, konnte das in Ermangelung der Glocken nur durch die auf der Kirche stehende Betglocke geschehen, die sich kurz hintereinander dreimal versetzte. Noch während des Läutens zog sich ein Gewitter zusammen. Der Wind blies aus Osten und jagte von dorther ein Gewitter herüber. Kurze Zeit später war der Himmel schrecklich in Aufruhr. Es wurde immer dunkler. Gegen 1/4 vor vier stießen zwei Gewitter zusammen, die sich auf die furchtbarste Weise entluden. Das Getöse, das entstand, war so stark, daß selbst die nächsten Anwohner der Kirche weder sahen noch hörten, daß der Turm herunterfiel. Als der Sturm nachließ, dessen höchste Gewalt nicht 5 Minuten währte, und jeder die Verwüstung in seinem Hause wahrnahm, und als es nun von Munde zu Munde ging, der Turm sei gefallen, da war die Bestürzung groß. Der Schaden, den der Sturm außerdem noch angerichtete, war sehr beträchtlich. Die Häuser hatten mehr oder weniger stark gelitten. Auch in der Umgegend von Solingen richtete der Sturm viele Verheerungen an. Die stärksten Eichen wurden entwurzelt. Den traurigsten Anblick gewährten die verwüsteten Gärten und Felder, die nach zwei Mißjahren die Eigentümer zu den schönsten Hoffnungen berechtigten. In den in den kommenden Wochen stattfindenden Gottesdiensten stützten sich die Predigten auf dies Ereignis.

Am 19. August 1832 hielt der Pastor J. Kämmerling eine Predigt, zu der er die Gemeinde mit den Worten einlud: "Kommet her und schauet die Werke des Herrn, der auf Erden solches Zerstören anrichtet!"Im folgenden sei nur das aus den Predigten wiedergegeben, was Bezug auf das Geschehnis und auf die damaligen Verhältnisse in der Solinger reformierten Gemeinde nimmt.

---"Blicket hinauf, ihr suchet vergeblich, den prachtvollen Turm, von dessen Zinne ihr sonst durch das feierliche Geläute zum Gottesdienst eingeladen werdet. Seine Zierde ist dahin, sein stolzes, hoch in den Wolken empor ragendes Haupt ist gefallen. Unsere Kirche, die schöne, die als Muster der Gotteshäuser in unserem Lande gerühmt wurde, ist durch des Turmes Fall zur Stätte einer schauderhaften Verwüstung geworden."

---"Jener Turm, der Jahrhunderte hindurch jeder Gewalt getrotzt hatte, an welchem im Jahre 1816 und in dem darauf folgenden Jahre furchtbare Gewitter ihre Kraft vergeblich versuchten und ihn nur auf einige Augenblicke in seiner Spitze anzündeten; jener Turm, den wir seines künstlerischen Baues wegen und weil er vor dem Blitz geschützt war, für unzerstörbar hielten, jener Turm hat endlich des Sturmes Gewalt unterliegen müssen."

.. weil er vor dem Blitz geschützt war .. demnach war der Turm mit einem Blitzableiter ausgerüstet.

---"Wahrlich, Solingen, du bist oft deiner schönen Kirche nicht wert gewesen. Dein prächtiger Turm hat dich mit seiner hohen Spitze oft, aber umsonst, nach dem Himmel gewiesen. Sein herrliches Geläute hat dich nicht selten vergeblich zu den heiligen Versammlungen eingeladen. Geschwiegen hat es nun eine ganze Woche, gewissermaßen als ob es trauerte über deine Gleichgültigkeit und Gefühlslosigkeit."---

---"Welch einen Beweis hat uns Gott von seiner Barmherzigkeit und Langmut. Ist doch bei der furchtbaren Zerstörungen keinem unter uns ein Haar gekrümmt worden. Zählet um euch her, es fehlt kein teures Haupt. Konnten wir das erwarten, daß der Turm nur leblose Gegenstände unter sich begraben würde, da seine Spitze sogar die Wohnung teilweise zerstörte und den Einwohnern nicht das geringste Leid zufügte."-

---"Es ist heute das zweite Mal, daß während meiner 32 jährigen Amtsführung in unsere Kirche am Sonntage kein Gottesdienst ist gehalten worden. Das erste Mal wurden wir im Jahre 1813 den 10. November daran gehindert, als die fliehenden Schaaren jenes gewaltigen Drängens sich des Nachts in unsere Stadt warfen und sie der Plünderung und dem Raub der Flammen preiszugeben drohten."---

Der Predigt des Pastors Georg Zurhellen vom 19. August 1832 lag die Weissagung des Propheten Nahum zu Grunde, die gegen das stolze Ninive gerichet ist. Darin wird verkündigt, daß Gott diese sündenvolle Stadt zerstören werde.

---"Es ist wahr, eine bauliche Zierde unserer Stadt und Umgebung ist in Trümmern gesunken, allein noch können wir nicht aufhören darüber zu staunen, daß es keinen von denen, die in des Tempels Nähe wohnen, ergangen ist wie jenen, auf welche der Turm zu Siloah fiel."---

---"Welche entsetzliche Taten geschehen unter uns! Wie viele wandeln nicht einmal ehrbarlich. Wie steigt die verderbliche Vergnügungssucht immer höher und höher! Wie werden die heiligen Tage des Herrn entweihet."---

Aus der Predigt des Pastors Wilhelm Vorster, gehalten am 26. August 1832 ist folgendes für uns von Belang: Nachdem Vorster in seiner Predigt kurz den Hergang des Unglücks schildert, spricht er in der Auslegung der Textworte "Lucas 19, 41-44" über das große sittliche Verderben der Bewohner Jerusalems und über den bevorstehenden Untergang des Volkes.

---"An Euch Alten wende ich mich, die Ihr schon länger das tolle Treiben der verblendeten Sünder ansahet. Wie viele Sünden und Verderben habt Ihr schon von den Gliedern diser Gemeinde gehört? Wie viele Altäre findet Ihr der Augenlust, der Fleischeslust und dem hoffärtigen Wesen errichten, wie viele zu Ehren Mammons und Belials?"---

Zeichnung, Gebäude der reformierten Kirche in Solingen, 1837
Gebäude der reformierten Kirche in Solingen, 1837. Die 47 m hohe Turmspitze fehlt.


©2004 Michael Tettinger
Mo. 12.07.2004 – Mo. 12.07.2004