Schleifkotten an der Wupper - Obenfriedrichstaler Kotten

Wanderbuch

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, fand ich in unserem Bücherregal dieses unscheinbare Buch aus dem Jahre 1922. Hier das Kapitel zum Obenfriedrichstaler Kotten.

Zeichnung: Obenfriedrichstaler Kotten
Abb.16 :: Obenfriedrichstaler Kotten
[ Hendrichs, Franz: Die Schleifkotten an der Wupper, Köln 1922, S.40ff ]

Franz Hendrichs
Obenfriedrichstaler Kotten

»Oberhalb der Ortschaft Friedrichstal finden wir den Obenfriedrichstaler Kotten, dem wir schon von weitem ansehen, daß der nicht auf einmal erbaut worden ist. Der niedrige Vorbau mit den verhältnismäßig hohen Dach des Innenkottens ist der älteste Teil der Anlage, und wenn auch die Zuverlässigkeit der Nachrichten nicht unbedingt feststeht, so darf doch sehr wahrscheinlich das Jahr 1667 als das Jahr der Errichtung des Doppelkottens angesprochen werden. Laut "Sohlinger Rhentmeisterey - Hebbuch" *) mußten die damaligen Eigentümer Ernen und Classen zusammen jährlich 3 Goldgulden als Pacht entrichten.

Karte Ploennies 1715

In der Ploennies Karte vom Jahre 1715 ist der Doppelkotten auch schon eingezeichnet. In späteren Zeiten, 1847, wird außer den Familien Ern und Neuhaus zu Friedenstal der Name Nippes zu Unterrüden unter den Eigentümern genannt. **) Außer den genannten werden noch Ferdinand Hunolt zu Friedenstal und Daniel Schaf zu Friedrichsaue aufgeführt ***). In dem Kotten werden jetzt Messer aller Art geschliffen, dagegen keine Schwerter.

Zeichnung: Hauptantriebsraum
Abb.17 :: Hauptantriebsraum

Es verlohnt sich hier wie bei allen Kotten, einen Blick in den Hauptantriebsraum zu werfen, der bei den bisher betrachteten Wupperkotten im wesentlichen gleich ausgebildet ist und von dem uns der Künstler in Abb. 17 eine getreue Wiedergabe vermittelt. Durch den Ausschnitt in der Kottenwand sehen wir die Speichen des meist 4-5 m im Durchmesser betragenden Wasserrades, das auf der mächtigen achteckigen Eichenbaumwelle sitzt.

Foto: Kegelrad Im Kotteninneren trägt diese ein großes Kegelrad, in das wieder zwei kleine Kegelräder eingreifen. Wird nun, wie dies im Bild geschieht, mit Hülfe einer Winde das "Schütt" aufgezogen, so kann das im Obergraben gestaute Wasser über den "Fachbaum" seinen Weg zum Untergraben nehmen. Hierbei setzt es das Wasserrad in Bewegung, indem es die flachen, meist 2-3 m breiten Schaufeln mit sich herumreißt. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Eichenbaumwelle dreht, ist noch gering. Die verschieden großen Kegelräder sorgen aber dafür, daß die in die Betriebsräume reichenden Achsen schon eine etwa vier mal größere Geschwindigkeit haben. Das Wasserrad und die Einrichtung des Hauptantriebsraumes herzurichten und in Ordnung zu halten, ist Aufgabe des "Kottentimmermanns", von alters her eine ganz besondere Art des Maschinenbauers. Eine wichtige Rolle spielt noch der in der Öffnung sichtbare eiserne große Korb - aber nur an strengen Wintertagen, wenn Gefahr vorliegt, daß das ganze Rad vereist. Ist morgens das Rad vom Eise befreit, wird der Korb mitten in die Wandöffnung gehängt, mit Koks gefüllt und dieser angezündet. Dreht sich das Wasserrad, so entsteht Zugwind, der die Glut wirksam der das Rad umgebenden Luft mitteilt und so ein erneutes Festfrieren verhindert: Auch ein Beitrag zu dem schweren Kampf der Schleifer mit den Kräften der Natur.«
*) Staatsarchiv Düsseldorf [mte:Vermutlich meint Hendrichs das Hebbuch des Solinger Rentmeisters Wilhelm Waßmann aus den Jahren 1683/84]
**) Akten der Stadt Höhscheid
***) Akten der Stadt Höhscheid

Soweit die Schilderungen von Franz Hendrichs. Leider deutet er seine Quellen nur an. Immer diese Geheimniskrämerei! Bei der Schaufelbreite und dem Durchmesser hat Franz Hendrichs etwas übertrieben. 1889 lag die mittlere Schaufelbreite der Wasserräder an allen Wupperkotten unter 2 m und der Durchmesser der Wasserräder bei knapp 4 Meter. Für den Obenfriedrichstaler Kotten habe ich folgende Daten zu den beiden Wasserrädern (1889): 2 unterschlächtige Wasserräder mit einem Durchmesser von 3,7 m, Schaufelbreite 1,30 bzw. 1,27 m, Schaufelhöhe 0,42 bzw. 0,36 m. Sie drehten sich mit einer Geschwindigkeit von 19 U/min. Als Inhaber der Wassertriebwerke sind August Hoppe und Daniel Schaaf vermerkt. (Stadtarchiv Solingen, VII-H-208)

Endlich ist der Begriff Fachbaum geklärt.

Foto: altes Schütt mit dem Fachbaum Zahnstange Foto: Schütz

Das Foto zeigt das noch teilweise vorhandene Schütz (in Solingen "Schütt" genannt) des ehemaligen Balkhauser Außenkottens. Die einzelnen Bretter waren früher über zwei Zahnstangen miteinander verbunden. So konnten sie mit der oben beschriebenen Winde hochgezogen werden und gaben das aufgestaute Wasser frei. Der unterste Balken ist der sogenannte Fachbaum, seine Lage wurde beim Bau der Anlage behördlich festgeschrieben und durfte nicht verändert werden. Er beeinflußt das Gefälle bzw. die mögliche Wasserenergiemenge.

Mit "Sohlinger Rhentmeisterey - Hebbuch" meint Hendrichs vermutlich das Verzeichnis von Wilhelm Vaßmann aus dem Jahre 1683/84. Dort finden wir unter Punkt 26: »Jannes Ernen, Jannes Claßen und Arndt Ernen haben Anno 1667 auf der Wupper erbaut zwei Schleifkotten, geben darob 2 Goldgulden Hebabgaben, nämlich:
· Jannes Ernen: 1 Goldgulden
· Jannes Claßen: ½ Goldgulden
· Arndt Ernen: ½ Goldgulden
«
Warum es bei Hendrichs 3 Goldgulden heisst, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis. Das original Hebbuch (Steuerliste) kenne ich nicht, nur die genannte Wiedergabe von Rektor Hermanns in Bergische Heimatblätter der Bergischen Zeitung vom 6. November 1925. Ebenfalls würde mich interessieren, wie Hendrichs zu dieser Zuordnung (Namen zu den Kotten) kam.

Hauptantriebsraum: Ich muss Hendrichs zustimmen, die Zeichnung in seinem Werk könnte ebensogut den Wipperkotten (Außenkotten) beschreiben. (Möglicherweise ist es sogar der Wipperkotten!) Dort ist auch noch im Jahre 2002 ein voll funktionstüchtiges Wasserrad, Schütt, Kegelräder, Transmissionen und sonstige Dinge, die mit den Schleifkotten zu tun haben, zu besichtigen. Die dort arbeitenden Schleifer nehmen sich auch gerne ihrer stumpfen Messer und Scheren an.

Zur Schleiferfamilie Ernen fand ich einen Beitrag von G.-Alexander Fülling in Die Heimat, Neue Folge 5/1989, S.5. In dem "Zur Geschichte der Schleiferfamilie Ern (Ernen) im Friedrichstal" betitelten Beitrag geht er näher auf die Abstammung der Familie ein.

Ein halbes Grundstück zum Kottenbau (1667)

Jannes oder Johannes Ernen wurde um 1627 geboren und starb 1695. Verheiratet mit Heilburg Voß (*1629, +1694) lebte der Schleifer in Friedrichstal, nebenbei besaß er auch Ackerland. Aus der Ehe sind 6 Kinder, die zwischen 1650 und 1669 geboren wurden, bekannt.

Fülling nennt eine Urkunde (Stadtarchiv Solingen, Best. Kl 136 fol.1), datiert auf den 13. November 1667, die einen Bau- und Kaufvertrag zwischen Jannes Ernen als Eigentümer des Kottenplatzes und Jannes Clas(en) als Käufer festhält. Der genaue Kottenplatz scheint in dieser Urkunde nicht genannt zu sein, denn Fülling vermutet hier den Obenfriedrichstaler Kotten und nennt in einer Fußnote Franz Hendrichs (s.o.). Johannes Clasen kauft für 45 Reichstaler die Hälfte dieses Kottenplatzes und verpflichtet sich, den Fußweg, den Wasserlauf sowie den Fuhrweg zum Anfahren der Schleifsteine in Ordnung zu halten und den halben Kotten an die Feldseite zu setzen nach den bestehenden Gesetzen und der Handwerksordnung. So wurde dann dieser Vertrag "ohne gefehr und arglist beschlossen" und jedem ein Duplikat ausgehändigt.


Foto: Obenfriedrichstaler Kotten von der Wupperseite aus gesehen
Obenfriedrichstaler Kotten - Wupperseite - 1920??

Wenn ich dieses Foto näher betrachte, so fallen mir weitere Gemeinsamkeiten mit dem Wipperkotten auf. Nicht nur der Antriebsmechanismus scheint kopiert, auch das äußere Erscheinungsbild stimmt in einigen Passagen deutlich mit diesem Bauwerk überein. Gab es vor mehr als 100 Jahren schon eine Art Fertigbauweise? Konnten die Schleifer ihre Wirkungsstätte von der Stange bestellen? Oder gab es zu jeder Zeit einfach nur eine bestmögliche Antwort auf die örtlichen Gegebenheiten?

Foto: Wipperkotten 2003
Wipperkotten 2003

Hier die aufdringliche Frage: Ist der Wipperkotten eine optimierte Variante des Obenfriedrichstaler Kotten?

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©2002-2003 Michael Tettinger, So. 27.10.2002, letzte Änderung: Mo. 25.08.2003
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