Aus vergilbten Zeitungsbänden
Gewitter am 2(7). September 1711

Drei Opfer eines Blitzschlages am 2. September 1711

»Das Solinger Wochenblatt vom 18. August 1832 (Nr.33) enthält unter "Merkwürdige Notizen": Anno 1711, den 2. September, auf einen Bußtag, hat zu Solingen daß Donnerwetter in die Kirche geschlagen, das der Pastor von der Kanzel gefallen und man ihn hat daraus müßen tragen, aber sonst noch nicht beschädiget worden. Aber 3 menschen sind tod drin geblieben und viellen ihr Leiber beschädeget worden sind, weillen die Steine aus der mauren geschlagen und das feuer durch die Kirche geflohen, welches ich Kürtzlich hab aufgeschrieben zum bedenken: weilt es eben auf einen Bettag gewesen ist. Clemens Stoff.«

Quelle: Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins (22. Jahrgang, Nr. 12, Dezember 1915, Seite 219; MA13)

1977 beschreibt H. Rosenthal unter der Überschrift Der Neubau der Pfarrkirche in Solingen ebenfalls dieses Wetterphänomen:

»Weit über Solingen hinaus lenkte der Einschlag eines Blitzes am Betnachmittag des 2.9.1711 den Blick auf die Solinger Pfarrkirche. Der Blitz beschädigte den Turm, den Glockenstuhl, das Dach und die Fenster, tötete drei Personen, verletzte andere lebensgefährlich und versengte vielen Betenden Kleider und Haare. Pastor Conrad Peill fiel in Ohnmacht und wurde in die Chorkammer getragen. Leute, die draußen standen, sagten, der Blitz habe die ganze Kirche wie eine glühende Kette umgeben.«

Quelle: Heinz Rosenthal, Solingen - Geschichte einer Stadt, II.Band, Duisburg 1977, S.24

Schon 1823 schrieb Dr.J.W.Spiritus in seiner medizinischen Topographie des Kreises Solingen unter §23:

»Gewitter sind im allgemeinen bei uns häufig, sie kommen das ganze Jahr hindurch meistentheils aus einer Gegend, sind aber selten lange anhaltend. In Solingen traf der Blitz seit einigen Jahren mehrmals den hohen evangelischen Kirchthurm, ohne ihn jedoch zu zünden, weshalb derselbe unter Leitung des Herrn Professors Brewer in Düsseldorf mit einem Blitzableiter120 versehen worden ist. Schrecklich war die Wirkung eines Wetterstrahls, dem am 27. September 1711 die hiesige evangelische Kirche während dem nachmittägigen Gottesdienst an einem Feiertage traf121. Der Prediger Peil wurde von der Kanzel geworfen und drei Personen getödtet. Mehr als hundert Menschen, und unter diesen der Prediger und Rector Pistor, wurden verwundet. Vielen waren die Kleider und Haare verbrannt, ohne daß man an ihren Körpern die geringste[n] Spuren einer Verletzung fand. Einigen wurden einzelne Glieder verletzt, ohne daß man den Kleidern etwas hätte ansehen können. Personen, welche ausser der Kirche gewesen waren, sagten aus, daß das Feuer gleich einer feurigen Kette die Kirche umgeben habe. Der Strahl selbst soll Ähnlichkeit mit einer Kugel gehabt haben und aus dem Thurme gekommen seyn. In der Mitte der Kirche zersprang die Feuermasse mit einem entsetzlichen Knalle und zertheilte sich. Der Prediger Peil wurde für todt aufgehoben und in die Chorkammer gebracht. Hier fand man den hintern Theil seines Kopfs von dem Falle verletzt und den linken Schenkel mit einem rothen Striche bezeichnet; die Kleider waren unbeschädigt. Er lebte noch lange nach diesem Vorfall, klagte aber, wenn sich Gewitter zeigten, jedesmal heftige Kopfschmerzen.

So wie anderwärts entladen sich die Gewitter auch hier zu Zeiten durch Hagel oder Schlossen [größere Hagelkörner], die oft von beträchtlicher Größe sind und vielen Schaden anrichten. ...«

Quelle: Zitiert in Anker und Schwert, Band 9, Alltag im Kreis Solingen 1823, eingeleitet und kommentiert von Ralf Stremmel, Solingen 1991, Seite 127f.

120 Die ersten modernen Blitzableiter hatte Benjamin Franklin 1760 in Philadelphia installiert. Der Blitzableiter der Solinger Kirche wurde 1816 angebracht und geerdet.

Zeichnung, reformierte Kirche Solingen vor dem 13. August 1832
Reformierte Kirche Solingen vor dem 13. August 1832. Nach einer Abbildung in Anker und Schwert 1 (1959).

Die alte ev.-reformierte Stadtkirche verfügte über einen ungewöhnlich schlanken und spitz zulaufenden Turm, den höchsten im bergischen Land, laut einer Messung von 1783 knapp 70 m hoch oder sogar 81 m hoch. Der Turm war 1679 fast vollständig neu errichtet worden. Die Kirche gründete auf einer Saalkirche aus dem 9./10. Jh., die aber zahlreiche und weitgehende Umbauten erfahren hatte. 1732 wurde das Gebäude bis auf den Turm abgebrochen, 1737 der Neubau fertiggestellt. 1711, 1785 und 1816 schlug der Blitz in den Turm ein und verursachte z.T. schwere Beschädigungen, doch fiel der Kirchturm endgültig erst am 13.8.1832 bei Gewitter und Sturm in sich zusammen. Der Blitzableiter schützte das Gotteshaus offenkundig nur unzureichend. Auch der halb fertiggestellte Neubau stürzte 1836 bei einem Unwetter noch einmal ein und konnte erst 1861 vollendet werden. Die Kirche wurde 1944 durch Luftangriffe zerstört.

121 Dieses bei Spiritus plastisch beschriebene Ereignis (bei Rosenthal II. S. 24, falsch datiert) sorgte schon im 18. Jh. schnell für überregionale Aufmerksamkeit und wurde z.B. im 1716 bis 1718 erschienenen Werk von Johann Jacob Scheuchzer: Natur-Historie des Schweizerlandes, beschrieben.

Die Fußnoten 120 und 121 stammen von R. Stremmel. Hat ein Leser zufälligerweise das Werk von Johann Jacob Scheuchzer griffbereit und kann mir die passende Textstelle zukommen lassen? Danke! Ach ja, der 27. September 1711 war ein Sonntag (Vollmond), der 2. September ein Mittwoch.


©2004 Michael Tettinger
So. 23.05.2004 - So. 23.05.2004